Da steht sie, diese riesige, gefährliche Bestie, und hier stehe ich, mit zwei Möglichkeiten: kämpfen oder fliehen. Kein Raum für Selbstzweifel oder Diskussionen über emotionale Verletzlichkeit. Ein klarer Kopf und ein starker Arm oder flinke Beine, das ist was zählt. Und dann in der Höhle – die schmachtenden Blicke der Frauen, die sich um meine Verletzungen kümmern.
Ich sitze auf einem ergonomischen Stuhl, jongliere zwischen Meetings und Mails mit passiv-aggressiven Untertönen. Ich starre auf den Bildschirm und frage mich, ob ich meinen letzten Team-Call zu dominant geführt habe oder ob ich empathisch genug war. Mein Adrenalin stecke ich in sinnfreie Diskussionen über den besten Softdrink oder den „richtigen“ Umgang mit Feedback.
Mein innerer Jäger ist bereit für ein Abenteuer. Stattdessen muss ich gegen eine E-Mail-Flut ankämpfen und gleichzeitig den Erwartungen gerecht werden, sowohl stark als auch verletzlich zu sein. Kein Säbelzahntiger weit und breit, nur die Bürokaffeemaschine, die schon wieder entkalkt werden muss.
Es gab mal männliche Rituale. Eine Mutprobe, ein Initiationsritus. Die Herausforderungen heute: kaufe ich den „richtigen“ Bio-Espresso, ist meine Bro-Circle-WhatsApp-Gruppe nicht vielleicht doch zu toxisch.
Der Jäger in mir ist bereit für Heldentaten, aber die größte Herausforderung des Tages ist das WLAN, das wieder mal nicht funktioniert.
Da hat sich die Evolution einen guten Scherz auf meine Kosten gemacht.
Säbelzahntiger, ich vermisse dich.
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